Die Zukunft des Managements von diabetischer Retinopathie

Die Möglichkeiten der bildgebenden Verfahren in der Augenheilkunde werden ständig erweitert. Dadurch stehen den Augenärzten immer mehr Daten zur Verfügung, die für das längerfristige Management diabetischer Augenerkrankungen erforderlich sind. Die immer bessere Kontinuität der Daten hat nachweislich dazu beigetragen, Fehler bei der Befundung zu verringern und die Behandlung der Patienten zu verbessern. Das trifft auch auf komplizierte Fälle von diabetischer Retinopathie (DR) zu, bei denen Proliferationen oder Ödeme auftreten. Anders sieht es bei Patienten mit mäßiger und schwerer DR aus: Hier hat sich die Aussagekraft unserer Prognosen hinsichtlich der Progression fortgeschrittener Stadien der diabetischen Retinopathie nicht verbessert, sondern möglicherweise sogar verschlechtert. Denn diese Prognosen beruhen noch immer auf Längsschnittdaten aus dem letzten Jahrhundert – die Diabeteskontrolle war damals noch nicht so weit fortgeschritten wie heute.

Um bessere Prognosen treffen zu können, müssen sich Management und Behandlung von DR in Zukunft zunehmend auf klinische Längsschnittdaten stützen, die mithilfe verschiedener Bildgebungsverfahren und Plattformen für künstliche Intelligenz (KI) gewonnen werden können. Diese ermöglichen auch die Integration der wachsenden Datenmenge. Das Einbeziehen von KI und maschinellem Lernen in die Augenmedizin wird zusätzliche Daten liefern, die bei einer Klassifizierung/Risikobewertung des aktuellen DR-Grades herangezogen werden können. Es sind gerade die Datenpunkte, die üblicherweise nicht zur Beurteilung der DR herangezogen werden, die für die DR-Risikostratifizierung immer wichtiger werden (wie etwa die Entwicklung des Blutdrucks, HBA1c, eingenommene Medikamente).

Auch mittels optischer Kohärenztomographie aufgenommene Angiographien (OCT-A) können herangezogen werden, um die Integrität der retinalen Gefäßsysteme und deren Durchblutung zu beurteilen. Das wird sich auch auf die Klassifizierung und das Management der DR auswirken. Im Gegensatz zur Fundusfotografie können die Netzhautgefäße mit einer OCT-A besser beurteilt werden, und zwar in einem Netzhautareal, das heute mit der ETDRS-7-Feld-Fundusfotografie vergleichbar ist. Dennoch wird die OCT-A noch relativ selten zur Klassifizierung des DR-Schweregrads eingesetzt, da sie in der klinischen Praxis und Forschung noch nicht endgültig etabliert ist. Nichtsdestotrotz ist die OCT-A-Technologie ist eine Zukunftstechnologie, die die Art und Weise verändern wird, wie wir mit der diabetischen Retinopathie umgehen. Diese Technologie ist sehr vielversprechend.

In den letzten Jahrzehnten hat auch die Spectral-Domain-OCT die Diagnostik und das Management von diabetischen Makulaödemen (DME) revolutioniert. In der klinischen Praxis, in der Forschung und bei der Entwicklung neuer KI-Prognosemodelle spielt sie noch immer eine entscheidende Rolle.

Die Zukunft des Managements von diabetischer Retinopathie mit künstlicher Intelligenz und diagnostischer Bildgebung

Paradigmenwechsel in der DR-Klassifizierung

Vor über 50 Jahren entwickelte die Forschungsgruppe der Early Treatment Diabetic Retinopathy Study (ETDRS) eine objektive Skala zur Einstufung des Schweregrads einer diabetischen Retinopathie (DR). Diese Bewertungsskala (die ETDRS-7-Feld-Fundusfotografie) ermöglichte es den Ärzten, das Risiko einer proliferativen Retinopathie bei einem Patienten einzuschätzen. Als die ETDRS-Skala entwickelt wurde, stand den Ärzten beim Management der diabetischen Retinopathie nicht viel mehr als solche Fotos (s. Abbildung) vom Augenhintergrund zur Verfügung, um die klinische Bewertung auszuweiten. Heute verfügen wir über bessere, nicht-invasive Bildgebungstechnologien. Darum sollte die ETDRS-Bewertungsskala keine so zentrale Rolle mehr spielen wie früher. Durch die präziseren Bilder, größeren Bildfelder und neuen Möglichkeiten zur Integration nicht-okularer Daten sollten wir heute in der Lage sein, eine bessere DR-Prognoseskala zu entwickeln.

Vor dem Hintergrund, dass künstliche Intelligenz (KI) und neue Innovationen in der ophthalmologischen Bildgebungstechnologie zunehmend an Bedeutung gewinnen, könnte die ETDRS-Bewertungsskala bald überholt sein. Das französische Projekt Intelligent Evaluation of Diabetic Retinopathy (EviRed) hat sich zum Ziel gesetzt, die veraltete ETDRS-Bewertungsskala zu überarbeiten und zu verbessern. In diesem Projekt sollen, unter landesweiter Beteiligung, künstliche Intelligenz, klinische Patientendaten und ophthalmologische Bildgebung kombiniert werden, um so ein neues System zur DR-Risikobewertung zu entwickeln.

EviRed nutzt verschiedenste ophthalmologische Bildgebungsverfahren und weitere klinische Datenpunkte, um seinen Algorithmus zu füttern. Diese beinhalten OCT, OCT-A und Ultraweitwinkelbilder sowie andere nicht-bildgebende Variablen aus der Anamnese des Patienten (z. B. Blutdruck, Blutzucker, Gewicht, Alter und Geschlecht). Diese Daten werden in einem einzigen Arbeitsschritt kompiliert und haben gute Aussicht darauf, eine höhere diagnostische Präzision zu erzielen als das ältere ETDRS-Bewertungssystem. Bisher wurde bei der Behandlung von DR-Patienten weniger Wert auf diese zusätzlichen Biomarker gelegt. Diese Daten könnten jedoch von größerer Bedeutung sein als bisher angenommen. EviRed versucht, die Prognosepräzision der KI zu nutzen, um DR-Behandlungsalgorithmen zu optimieren, den Weg für künftige präventive Behandlungsmethoden zu ebnen und die Fehlerquote von Behandlungsergebnissen zu verringern.

Validierung des EviRed-Algorithmus

In Frankreich wird derzeit eine klinische Studie namens EviRed durchgeführt, in der ein Modell zur DR-Risikoprognose trainiert und validiert werden soll. Für die Studie werden etwa 5.000 Diabetiker untersucht, die im Schnitt 24 Monate lang beobachtet werden. In diesem Zeitraum versucht unsere Forschungsgruppe, aus Ultraweitwinkelbildern, OCT und OCT-A sowie weiteren Biomarkern ausreichend Daten gewinnen zu können, um den Algorithmus zu verfeinern und validieren zu können. Das primäre Ziel der Studie ist die Progressionsprognose für eine schwere DR. Die Präzision des Modells bei der Beurteilung des DR-Grades und des Progressionsrisikos wird genau beobachtet werden. Die Ergebnisse werden auch mit Prognosen von Augenärzten verglichen, die mit der ETDRS-Skala oder ähnlichen Modellen arbeiten.

Künftige Auswirkungen von diagnostischer Bildgebung und KI auf die Workflows von Augenärzten

Künstliche Intelligenz und erweiterte diagnostische Bildgebung sind für eine bessere klinische Entscheidungsfindung und eine höhere Workflow-Effizienz von unschätzbarem Wert. Je mehr klinische Daten an einem Ort gesammelt vorhanden sind, desto besser sind Augenärzte auf das Management komplexer Patientenfälle vorbereitet und benötigen weniger Zeit, um frühere Datenpunkte zu sichten.

KI-Plattformen wie EviRed haben zum Ziel, über einen Zeitraum von mehreren Jahren möglichst automatisch klinische Daten zu sammeln und so Ärzte dabei zu unterstützen, mit größerer Präzision vorherzusagen, bei welchen Patienten das Risiko einer komplizierten DR besteht. Ohne KI, also alleine mit klassischen Prognosemodellen, würde es Jahrzehnte dauern, um eine vergleichbare Präzision wie bei EviRed zu erreichen. In Folge werden die Patientenversorgung und der Behandlungserfolg optimiert und eine diabetesbedingte Erblindung kann wirksamer verhindert werden.
 

Was die Fortschritte bei den wichtigsten Diagnosegeräten für das Management der diabetischen Retinopathie bedeuten

Für Augenärzte, die Patienten mit diabetischer Retinopathie betreuen, sind die Fortschritte bei wichtigen Diagnosegeräten von entscheidender Bedeutung, wie beispielsweise die Fundusbildgebung und die OCT. Mit Geräten wie ZEISS CLARUS und ZEISS CIRRUS lässt sich die Veränderung einer Augenerkrankung sehr schnell sichtbar machen. Das ist für das Management von jeder Art Augenerkrankung wichtig, insbesondere bei einem diabetischen Makulaödem. Noch liegen erst wenige Studien zu den Auswirkungen dieser neuen Technologien auf das Krankheitsmanagement vor, aber es liegt auf der Hand, dass diese Geräte die diagnostische Effizienz und die Entscheidungen bezüglich des Managements verbessern können.

Durch die Fortschritte in der OCT-A-Technologie haben Augenärzte jetzt die Möglichkeit, die Details der retinalen Gefäße besser zu sehen als je zuvor. Auch wenn mit der OCT-A kein so großes Bildfeld wie mit der Ultraweitwinkel-Bildgebung abgebildet werden kann, so zeigt sie doch mehr mikrovaskuläre Details als jedes andere Gerät dieser Kategorie. Das ermöglicht es den Ärzten, die eigenen Entscheidungen hinsichtlich des Managements besser zu validieren. Besonders hilfreich ist OCT-A bei der Beobachtung von Patienten, die sich einer Behandlung mit VEGF-Inhibitoren unterziehen. Bei diesen Patienten kann es sein, dass sich zwar ihr ETDRS-Score verbessert, nicht aber ihre Durchblutung. Die OCT-A kann ein wichtiges Instrument sein, um etwaige Veränderungen und die damit verbundenen Risiken zu beurteilen.

Beim Management von diabetischer Retinopathie setzt sich zunehmend der Einsatz der Ultraweitwinkel-Bildgebung durch. Sie ermöglicht es den Ärzten – anders, als in der sonst üblichen Fundusfotografie – Netzhautläsionen auch außerhalb der sieben ETDRS-Netzhautfelder zu identifizieren und zu dokumentieren. So kann das Progressionsrisiko für zwei Patienten mit früher proliferativer DR sehr unterschiedlich sein, wenn einer von ihnen auch außerhalb sieben Netzhautfelder Neovaskularisationen aufweist. In anderen Fällen kommt es vor, dass die Neovaskularisationen ausschließlich außerhalb sieben ETDRS-Netzhautfelder auftreten und somit übersehen werden, wenn keine Ultraweitwinkelaufnahme gemacht wird. Die Fortschritte in der Weitwinkel-Fundusbildgebung und der OCT-A ermöglichen es den Ärzten, die Genauigkeit der eigenen Diagnosen zu erhöhen und gleichzeitig die Risikobewertung und das Behandlungsergebnis für DR-Patienten zu verbessern. Aus Untersuchungen geht hervor, dass bei bis zu 15 % der Patienten mit diabetischer Retinopathie die Behandlung nochmal angepasst wird, wenn durch die Ultraweitwinkel-Bildgebung zusätzliche Fundusbereiche abgebildet werden.

Fortschrittliche diagnostische Bildgebung, maschinelles Lernen und die Zukunft der Augenmedizin

Fortschrittliche diagnostische Bildgebung und künstliche Intelligenz werden auch Maßnahmen wie Video-Sprechstunden fördern: Patienten mit geringerem Risiko können so aus der Ferne untersucht werden, während Patienten mit höherem Risiko weiterhin persönlich untersucht und behandelt werden können. Diabetiker ohne Vorerkrankung an Retinopathie oder mit einem stabilen Verlauf von leichter Retinopathie sind in der Regel ideale Kandidaten für Video-Sprechstunden. Beim Management von DR-Patienten sind neben OCT, OCT-A und Ultraweitwinkel-Bildgebung auch künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen nicht mehr wegzudenken. Die Entwicklung von KI-Plattformen wie EviRed wird einen erheblichen Mehrwert für das Management der diabetischen Retinopathie bieten und die Behandlungsalgorithmen für Augenärzte verbessern.


Diesen Artikel teilen